Dr. Marina Meixner
Bieneninstitut Kirchhain
Geographische Vielfalt der Bienenrassen, Leistungszucht und Varroatoleranz – Widerspruch oder Chance?
Die Vielfalt der Bienenrassen Europas ist durch natürliche Selektion in Anpassung an unterschiedliche Umweltbedingungen entstanden. Dazu gehören insbesondere die Einflüsse von Klima und Vegetation, aber auch von Parasiten und Krankheitserregern. Natürlicherweise kommen in Europa zahlreiche verschiedene Bienenrassen vor, deren Verbreitungsgebiete sich nach dem Ende der letzten Eiszeit durch Wanderungsbewegungen aus südeuropäischen Refugien herausgebildet haben. Inzwischen hat sich dieses Bild der natürlichen Verbreitung der Bienenrassen in Europa jedoch sehr stark verändert. Zum Einen besteht mittlerweile die gesamte Bienenpopulation in Europa aus imkerlich betreuten Völkern und es gibt so gut wie keine wildlebenden Völker mehr. Außerdem hat es seit etwa 150 Jahren zunehmend Importe aus anderen Regionen und daraus folgend eine Veränderung der genetischen Zusammensetzung der Bienen in vielen Gegenden Europas, vor allem auch in Deutschland, gegeben. Darüber hinaus hatte die Zunahme der Leistungszucht anhand eines Katalogs von Kriterien einen gravierenden Wandel in den Selektionsverfahren zur Folge. In einer der natürlichen Selektion unterworfenen Bienenpopulation sind andere Überlebenskriterien von Bedeutung als in einer Population, in der intensiv Leistungszucht nach imkerlich relevanten Kriterien wie Honigleistung oder Schwarmträgheit betrieben wird. Zudem konzentrieren sich derartige züchterische Aktivitäten auf wenige wirtschaftlich interessante Bienenrassen, die stark propagiert werden, so dass die genetische Diversität insgesamt als rückläufig angesehen werden muss.
Mit dem seit über dreißig Jahren in Europa präsenten Bienenparasiten Varroa destructor wird diese Situation noch zusätzlich verschärft. Da Bienenvölker ohne den Einsatz von Behandlungsmaßnahmen einen Befall mit Varroamilben nur kurze Zeit überleben können, existiert heute ein flächendeckender Zwang zu ihrer regelmäßigen Bekämpfung, bei dem routinemäßig auch Tierarzneimittel eingesetzt werden. Dadurch entstehen nicht nur Probleme mit eventuellen Rückständen und resistenten Milben; diese Vorgehensweise wirkt sich auch nachteilig auf eine mögliche Entwicklung einer natürlichen Widerstandsfähigkeit der Bienenpopulation gegen die Milben und andere Krankheiten aus. Aus Untersuchungen in mehreren Ländern ist jedoch bekannt, dass sich eine solche Widerstandfähigkeit unter bestimmten Bedingungen recht schnell in einer gegebenen Bienenpopulation aufbauen kann. Das Konzept der Varroatoleranzzucht baut auf diesen Überlegungen auf und zielt darauf ab, Elemente der natürlichen Selektion in die züchterische Planung mit einzubauen. Dieses Konzept besteht dabei aus mehreren Bausteinen, die in den Prüfrichtlinien der Arbeitsgemeinschaft Toleranzzucht zusammengefasst sind. Während einer Prüfphase kommt zu der klassischen Leistungsprüfung auf die Merkmale Honigertrag, Sanftmut, Wabensitz und Schwarmverhalten zunächst die Beurteilung von Merkmalen hinzu, die mit einer verbesserten Varroatoleranz im Zusammenhang stehen. Die Höhe des Milbenbefalls im Frühjahr wird über eine Bodeneinlage gemessen. Bei Trachtende im Sommer folgt dann die Diagnose des Milbenbefalls einer Bienenprobe. Diese beiden Messwerte erlauben die Berechnung der Zunahme der Milbenpopulation über die Saison hinweg, die als wichtiges Kriterium für die Varroatoleranz angesehen wird. Zusätzlich wird während der Saison mehrmals das Bruthygieneverhalten mit dem sogenannten Nadeltest überprüft. Alle Daten fließen in die zentrale Zuchtwertschätzung ein. Nach der Prüfphase werden vielversprechende Prüfvölker für eine Bewährungsphase, den sogenannten Vitalitätstest, ausgewählt. Dabei werden sie nach Abschluss der Honigernte isoliert aufgestellt, um ihre weitere Volks- und Varroabefallsentwicklung möglichst ungestört beobachten zu können. Medikamente werden bei diesen Völkern nur dann eingesetzt, wenn der Varroabefall der Bienen auf 10 % oder mehr anwächst. Ein Vergleich der Auswinterungsstärke der unbehandelt überwinterten Völker ermöglicht den Züchtern eine sehr zuverlässige Auslese besonders gesunder, vitaler Bienenvölker. Diese eignen sich ganz besonders als Drohnenherkünfte auf den Belegstellen und für eine intensive Nachzucht von Königinnen. Mit der Anpaarung der Königinnen auf einer Toleranzbelegstelle wird das Konzept der Varroatoleranzzucht vervollständigt. Die zugrundeliegende Idee ist hier, dass sich Unterschiede in der Varroaanfälligkeit unmittelbar auf den Paarungserfolg unbehandelter Drohnenvölker auswirken.
Die teilweise noch vorhandene, aber bedrohte, Vielfalt an Rassen und Ökotypen der Honigbiene in Europa stellt eine bedeutende Grundlage für die Zucht von krankheitstoleranten Bienen auf regionaler Basis dar. Zurzeit läuft dazu innerhalb des Coloss-Programms ein umfangreicher Feldversuch, der neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Anpassung an regionale Klima- und Trachtgegebenheiten und die Krankheitsanfälligkeit von Bienenvölkern erbringen wird. Das Ziel ist die Erarbeitung europaweit einheitlicher Prüfstandards für die Beurteilung der Vitalität von Bienenvölkern, die der Auslese auf natürliche Krankheitsabwehr und der Anpassungsfähigkeit an schwierige Umweltverhältnisse stärkeres Gewicht geben werden.
Ziel der Selektion auf Varroatoleranz ist es, krankheitsbedingte Völkerverluste durch eine gezielte Verbreitung widerstandsfähiger Bienen zu senken und gleichzeitig den Einsatz von Tierarzneimitteln in der allgemeinen Bienenhaltung zu reduzieren. Am Ende der gegenwärtig laufenden Versuchsprogramme werden Handlungsempfehlungen an die Praxis stehen, die es Züchtern ermöglichen, unter Beachtung bestimmter Schadschwellen weitgehend auf den Einsatz von Behandlungsmitteln zu verzichten und die Winterfestigkeit unbehandelter Völker als wesentliches Selektionskriterium zu nutzten.